
Nachruf auf Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Erik Jayme, LL.M. (Berkeley) - *8. Juni 1934 † 1. Mai 2024
Traueranzeige
24.05.2024
Erik Jayme ist Anfang Mai nach kurzer Krankheit wenig mehr als einen Monat vor seinem neunzigsten Geburtstag verstorben. Am 22. Mai 2024 fand der bewegende Trauergottesdienst in der Heidelberger Jakobuskirche seiner protestantischen Kirchengemeinde statt.
Erik Jayme war seit 1974 Mitglied der damaligen Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, heute Deutsche Gesellschaft für internationales Recht, gewesen. Dem Verhältnis zwischen Völkerrecht und internationalem Privatrecht galt stets sein Interesse. Nicht nur mit Wilhelm Wengler, dem letzten großen Vertreter beider Fächer zugleich, stand er im persönlichen Gedankenaustausch (ZaöRV 2016, 579). Bereits auf der 14. Tagung der Gesellschaft in Göttingen am 10. und 11. April 1975 referierte Erik Jayme über das Thema „Staatsverträge zum Internationalen Privatrecht, Internationalprivatrechtliche, staatsrechtliche, völkerrechtliche Aspekte (Berichte DGVR Heft 16, S. 7 – 48). Der Vortrag fand weite Beachtung. Im Jahr 1999 knüpfte der – gemeinsam mit Christian Kohler – verfasste Aufsatz „Europäisches Kollisionsrecht 1999 – Die Abendstunde der Staatsverträge“ (IPRax 1999, 401) an diesen Vortrag an. Dem Vorstand der Gesellschaft gehörte Erik Jayme in den Jahren 1982 bis 1984 an; mehr als dreißig Jahre, nämlich von 1977 bis 2009 war er Mitglied des Rats der Gesellschaft. In beiden Funktionen gab er wichtige Impulse für Tagungsthemen und die Auswahl neuer Referentinnen und Referenten. Er war über die gesamte Zeit ein sehr aktives Mitglied der Gesellschaft und bereicherte die Diskussionen mit seinem umfassenden Wissen und seinen erfrischenden Beiträgen. Sein Blick war nie rückwärtsgewandt, stets Neuem und dem Wandel gegenüber aufgeschlossen.
Seine akademischen Lehrer waren Murad Ferid, bei dem er 1960 in München mit einer Arbeit zum italienischen Recht promovierte, Hans G. Ficker, unter dessen Betreuung er 1969 in Mainz mit der Schrift zur Familie im Recht der unerlaubten Handlung habilitierte, und Albert A. Ehrenzweig, sein Lehrer und Mentor in Berkeley, wo er 1965/1966 mit einer Thesis zu „Interspousal Immunity: Revolution and Counterrevolution in American Tort Conflicts“ den LL.M. erwarb. Mit Ehrenzweig verfasste er Band 2 (1973) und 3 (1977) des „Private international law: A comparative treatise on American international conflicts law, including the law of admiralty. An outline.“ Seine venia legendi umfasste „Zivilrecht, Internationales Privatrecht, Internationales Zivilprozessrecht und Rechtsvergleichung.“ Erik Jayme hatte an den Universitäten Frankfurt am Main (1954-1955), München (1955-1958) und Pavia (1958/1959) Rechtswissenschaft, in München parallel hierzu auch Kunstgeschichte, studiert und lehrte später an den Universitäten Münster (1973-1974), München (1974-1983) und Heidelberg (ab 1983). Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 2002 wirkte er in seinem Heidelberger Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht, das für vierzig Jahre seine akademische Heimat war. Er hat es zu einem Mekka für viele wissenschaftliche Gäste aus der ganzen Welt gemacht. An seinem außerordentlich umfangreichen Werk schuf er weiter, bereiste die Welt als Vortragender und hielt bis wenige Wochen vor seinem Tod Vorlesungen. Noch am Tag vor seiner Erkrankung beendete er zu Semesterende seine Vorlesung im Kunst- und Urheberrecht und begeisterte die Studierenden wie während seiner ganzen professoralen Laufbahn. Das Gespräch mit Lernenden war für ihn stets ein gegenseitiger Austausch, nicht nur eine Möglichkeit, sein Wissen weiterzugeben, sondern ebenso die Gelegenheit, selbst zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Offenheit war seine Maxime.
Zu seinem 80. Geburtstag wurde angemerkt: „Er ist ein juristischer Entdecker, der kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen in der Welt des Rechts verortet und ihre rechtlichen Erscheinungsformen aufzeigt. Das Verhältnis von kultureller Identität und internationalem Privatrecht, die lex originis im internationalen Kunstrecht, die narrative Norm und die Vervielfältigung wie Hybridisierung der Rechtsquellen, die Zweistufigkeit des IPR und die Datumtheorie, das Sprachrisiko im IPR und die internationalprivatrechtliche AGB-Kontrolle, die Rationalisierung der ordre public-Prüfung, diese (und viele weitere) sind Fragestellungen, die Erik Jayme „entdeckte“ oder doch als einer der ersten vermaß. Die entsprechenden Publikationen sind mittlerweile Klassiker. Zugleich hat er die Ideengeschichte des Kollisionsrechts erforscht und personalisiert. Pasquale Stanislao Mancini und Giuseppe Pisanelli, Emerico Amari und Karl Mittermaier, Antonio Canova sind seine Helden“ (JZ 2014, 558). Zudem hat er als Erster die lusitanische Rechtsfamilie beschrieben. Insbesondere in Südamerika ist der „Dialog der Quellen“ ein besonderer Forschungstopos geworden.
Sein Ziel war stets, nicht allein der Wissenschaft, sondern auch der Rechtspraxis zu dienen, sei es durch seine Textsammlung (Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 1.Aufl. 1978, mittlerweile in 22. Aufl. 2024) oder durch Gründung einer Zeitschrift mit hohem wissenschaftlichem Anspruch, die aber zugleich das Wort Praxis im Namen trägt und sie auch im Blick hat (Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, IPRax, seit 1981), sei es durch unzählige Gerichtsgutachten, denen er sich auch bei den allergeringsten Streitwerten nie versagte. Stets verband er aber anspruchsvolle Theorie und dogmatische Durchdringung mit Anwendungsorientierung. Ihm ging es in gleichem Maße um das law in books und um das law in action. Hier war er stark geprägt von seinen beiden Lehrern Albert A. Ehrenzweig und Murad Ferid.
Im Institut de Droit International, dessen Mitglied er seit 1981 war, übernahm er nicht nur das Amt des Präsidenten von 1997 bis 1999 und richtete die glanzvolle Berliner Tagung des Instituts aus, sondern war mehrfach auch Berichterstatter und brachte seine Resolutionsentwürfe sehr erfolgreich durch das Verfahren. Die Themen dafür stehen für sein freiheitliches Denken in Verantwortung („Parteiautonomie“, Basel 1991; „Internet und Verletzung der Privatsphäre“, Den Haag 2019) und die materiell-rechtlichen Koordinierungsmethoden („Substitution im Kollisionsrecht“, Santiago de Chile 2007).
Der elitären Ämter in internationalen Gremien hatte er viele, von der erwähnten Präsidentschaft des Institut de Droit International, die zuvor nur Wilhelm Wengler (1975) und Joachim von Holtzendorff (1883) als Deutsche inne hatten, bis zur Vizepräsidentschaft des Kuratoriums der Haager Akademie für Internationales Recht; hier folgte er im Kuratorium Hermann Mosler nach, mit dem er in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften im freundlichen Austausch war. Die Mitgliedschaften in Akademien der Wissenschaften von Italien bis Venezuela, von Paris bis Den Haag sind ungezählt. Ehrendoktorwürden der Universitäten Ferrara (1991), Budapest (2000), Montpellier (2003), Porto Allegre (2003) und Coimbra (2007) zeigen seine besondere Verbundenheit mit dem romanischen Rechtskreis, ebenso die Gründung der Jahrbücher für Italienisches Recht (seit 1988) und der Deutsch-Lusitanischen Juristenvereinigung (1991), zu deren Ehrenvorsitzender er später ernannt wurde. Er war, so darf man festhalten, der zentrale Vertreter der deutschen Kollisionsrechtswissenschaft im Ausland, gleichsam ihr Außenminister.
Sein Werk liegt in sechs Bänden seiner Gesammelten Schriften vor. Sein Schaffen ist auf sicheren methodischen Grundannahmen und Prinzipien wie der genauen Kenntnis der Ideengeschichte des Kollisionsrechts gegründet. Der Respekt vor dem Individuum und seiner Freiheit war der zentrale Eckstein seines wissenschaftlichen Denkens. Sein Werk ist wesentlich auf das Kollisionsrecht und dessen Zusammenspiel mit dem materiellen Recht fokussiert. Für ihn umfasste das internationale Privatrecht nicht nur die Frage der Verweisung, sondern ebenso die der Koordinierung der von einem Sachverhalt berührten unterschiedlichen Rechtsordnungen auf der Ebene des materiellen Rechts. Die Zweistufigkeit des internationalen Privatrechts, die Datumtheorie, die Substitution und die Anpassung waren solche Koordinierungsmittel, die er weiterentwickelte und mit denen er souverän arbeitete.
Ein zweiter Interessenschwerpunkt lag im Kunstrecht. Erik Jayme war ein begeisterter Kunstsammler, der mit seiner Sammlung immer wieder Ausstellungen bereicherte. Seine Erfahrungen mit der Sammlung seiner Eltern und das Studium der Kunstgeschichte waren das Fundament für manche detektivische Eroberung in Kunstauktionen, die sich gelegentlich dann nicht als namenloses, sondern etwa als Werk eines Feuerbachs oder Canovas entpuppte.
Zu seinem siebzigsten Geburtstag erschien eine zweibändige Festschrift, zu der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt beigetragen haben. Sein 80. Geburtstag wurde durch ein Symposium seiner Schüler geehrt. Die Beiträge wurden in dem Liber Amicorum „Die Person im Internationalen Privatrecht“ veröffentlicht. Sie spiegeln die Wissenschaftsthemen von Erik Jayme. Im Zentrum seines Werks steht die Person, ihre Würde und ihre Freiheit.
Weltweit erscheinen Nachrufe, sie zeugen von einem noblen Wissenschaftler und besonders liebenswürdigen Menschen. Er wird uns sehr fehlen. Sein Andenken werden wir ehrend bewahren.
Heinz-Peter Mansel, Köln
(Eine frühere Version des Nachrufs ist auf der Internetseite des Deutschen Rats für internationales Privatrecht veröffentlicht unter https://ipr.uni-koeln.de/deutscher-rat/personen)